Eröffnung am  
9. November 2021

Am 9. November 2021 wurde der DenkOrt in Dornheim offiziell eröffnet. Die Bevölkerung war zuvor in den „Iphöfer Nachrichten“ eingeladen worden.

Es waren Bürgerinnen und Bürger aus Dornheim samt den Stadträten aus Dornheim, Bürgermeister Dieter Lenzer und Stadtarchivarin Susanne Kornacker aus Iphofen, der stellvertretende Kitzinger Landrat Robert Finster, Benita Stolz vom Projekt DenkOrt Deportationen Würzburg, Frau Karl vom Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen e.V., ein Teil der beteiligten Schülerinnen und Schüler der Dr.-Karlheinz-Spielmann Mittelschule Iphofen mit ihrer Techniklehrerin Nina Sahlmüller sowie dem Bildhauer Sascha Fidyka und Hausmeister Stefan Lenzer, Pfarrer i.R. Hans Schlumberger sowie Gerhard Bauer als Vertreter der Presse anwesend.

Der Bürgermeister von Iphofen, Dieter Lenzer, begrüßte und dankte den Beteiligten. Er verwies auf den 83. Jahrestag der am 9.11.1938 stattgefundenen Reichspogromnacht, verbunden mit der Mahnung eines „Nie wieder“. In diesem Sinne appellierte auch der stellvertretende Landrat Robert Finster und betonte die Bedeutung einer stabilen Demokratie. Stadtarchivarin Susanne Kornacker skizzierte die Archiv- und Forschungssituation zur jüdischen Geschichte des Ortes und betonte die große Bereitschaft aller Beteiligten, an diesem Projekt mitzuarbeiten. Durch die Einbindung der Schule sei ein wichtiger Beitrag zur historischen Bildungsarbeit geleistet worden. Die Techniklehrerin Nina Sahlmüller berichtete über die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern an den Koffern mit dem Bildhauer Sascha Fidyka, der handwerkliche Details ergänzte.

Auch die Schule mit allen Beteiligten sei dankbar für dieses Projekt gewesen. Schließlich verlas Pfarrer i.R. Hans Schlumberger, der in der Reihe „Mehr als Steine … Synagogen-Gedenkband Bayern“ den Artikel über Dornheim verfasst hat, die Namen aller ursprünglich aus dem Ort stammenden Opfer, auch wenn diese zwischenzeitlich verzogen waren. Schließlich verlas Susanne Kornacker einen Psalm in deutscher und hebräischer Sprache. Zum Abschluss der Gedenkstunde enthüllte Bürgermeister Lenzer den Koffer. 

 

Susanne Kornacker, Stadtarchiv Iphofen

Eröffnung des DenkOrtes

09.11.2021

Fotos:  Susanne Kornacker

                 Stefan Lenzer 

                 (Mittelschule Iphofen)

Während der Shoah Deportierte, die in Dornheim geboren oder wohnhaft waren

Name, Vorname             Geb. Jahr    Geburtsort      letzter Wohnort

Transport Nürnberg-Riga (Jungernhof), 29.11.1941

Hofmann geb. Lärmer Fanny                      1895        Dornheim         Windsheim (später nach Stutthof verlegt)

Schönfeld Max                                                    1896       Dornheim         Nürnberg und Dortmund-Aplerbeck

Schönfeld Moritz                                               1897       Dornheim         Nürnberg und Dortmund-Aplerbeck

Walfisch Lina                                                        1899       Dornheim         Dornheim

 

Transport Nürnberg-Izbica, 24.3.1942

Lärmer Benjamin                                                1885      Dornheim         Windsheim

Lärmer geb. Hofmann Emma Anna          1895      Windsheim      Windsheim und Dornheim

Schönfärber Jakob                                             1898      Dornheim        Kitzingen

 

Transport München-Piaski, 4.4.1942

Hamburger geb. Lärmer Jeanette              1886    Dornheim         Nördlingen

Sichel Betty                                                            1875     Dornheim         Ichenhausen

 

Transport Würzburg-Kranystaw(-Izbica), 25.4.1942

Adler geb. Schönfärber Lina                         1901     Dornheim          Urspringen bei Marktheidenfeld

Rosenbaum geb. Hausmann Mali               1877     Dornheim          Schüchtern und Würzburg

 

Transport Frankfurt/M.-Theresienstadt, 1.9.1942

Herz Moses                                                           1873      Dornheim          Bad Homburg v.d.Höhe

 

Transport Kassel-Chemnitz-Thersienstadt, 7.9.1942

Baumann geb. Schönfärber Babette        1877      Dornheim          Plauen

Cohn geb. Schönfärber Johanna                  1867     Dornheim          Fulda

 

Transport Würzburg-Theresienstadt, 23.9.1942

Ullmann geb. Hausmann Lina                       1874     Dornheim           Würzburg

Walfisch Sofia                                                       1866    Dornheim           Würzburg

 

Transporte unbekannt: 

1941 von den Niederlanden nach Mauthausen:

Schönfeld Ignatz                                                 1899      Dornheim             in die Niederlande emigriert

 

1941 von unbekanntem Ausagangsort nach Riga: 

Lärmer Frieda                                                       1895        Dornheim            Dornheim

 

1942 von unbekanntem Ausgangsort nach Izbica: 

Lärmer Lippmann                                                1883       Dornheim            Mainstockheim

 

Durch Gewalteinwirkung von Nationalsozialisten in der Heimat ums Leben gekommen: 

Rosenbaum geb. Sichel Ida                             1879       Dornheim            Mellrichstadt

 

Ida Rosenbaum wurde bei einem gewaltsamen Angriff von Nationalsozialisten auf die Bewohnerinnen und Bewohner eines „Judenhauses“ in Mellrichstadt am 10. August 1939 die Treppe hinuntergeworfen und erlag den Folgen eines Genickbruchs. 

Quellen: Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz, in Zweifelsfällen mit den Transportlisten und den Listen von Jad vaSchem in Jerusalem abgeglichen. Für das Schicksal von Frau Rosenbaum der Ortsartikel Dornheim im -Synagogengedenkband III.2.2. 

Der Unterschied zu Dornheim in Hessen (heute Stadt Groß-Gerau) wurde beachtet.

 

Zusammenstellung von Pfarrer i.R. Hans Schlumberger (29. Oktober 2021)

Irene Katz, geborene Lärmer (1924-2017): die einzige Überlebende der Shoah

Irene Lärmer, von ihrer Mutter Frieda liebevoll Reni genannt, wird am 15. Februar 1924 in Dornheim in der Hausnummer 5 geboren. Dieses Haus wurde noch eine Generation zuvor gemeinsam von den jüdischen Familien Lärmer und Schönfärber bewohnt und das Dachgeschoß diente bis Mitte des 19. Jahrhunderts als Dorfsynagoge. Die orthodoxe Familie Lärmer ist erstmals 1796 in Dornheim nachweisbar, als Wolf, Sohn des Marx, aus Demmelsdorf (heute zu Scheßlitz im Landkreis Bamberg gehörig) die Dornheimer Jüdin Feuerle Moyses Levi ehelicht. Im Zuge des Edikts über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern (1813) nimmt dieser Wolf den Familiennamen Lärmer an.

Als Irene geboren wird, sind fast nur noch ältere jüdische Mitbürger in Dornheim verblieben – die jüngeren sind in die Städte abgewandert. Als das einzige schulpflichtige jüdische Kind im Dorf wünschen sich ihre Mutter, die im Haushalt lebende Großtante und die Großeltern mütterlicherseits eine jüdische Schulbildung für Irene und so kommt diese bereits mit sechs Jahren nach Fürth in die jüdische Schule. In Fürth bietet die älteste israelitische Waisenanstalt Deutschlands in seinen Mauern als seine Art Internat einen geschützten Bereich mit Einhaltung des jüdischen Kultus; neben dem Sabbat-Gebot und der Feier der hohen Feiertage beinhaltet dies etwa koschere Verpflegung. Dort erlebt Irene die nationalsozialistische Pogromnacht am 9. November 1938 zusammen mit ihrer Cousine Marga Loewi aus Erlangen, deren Mutter Rosa Friedas Schwester war. In dieser Nacht wird die Synagoge der Anstalt von einem Mob zerstört und große Teile des Geländes stark in Mitleidenschaft gezogen.

Im Rahmen der Jugend-Aliyah, einer jüdischen Organisation, die ab 1933 versuchte, möglichst viele Kinder und Jugendliche im von den Briten verwalteten Völkerbundmandat Palästina in Sicherheit zu bringen, gelangt Irene im November 1940 in den Gehringshof. Dieses Gut im Hessischen sollte jüdischen Jugendlichen landwirtschaftliche Kenntnisse vermitteln, die die Briten als Voraussetzung für die Einwanderung forderten. Im Juni 1941 kehrt Irene nach Franken zurück und besucht dort die letzten jüdischen Schüler offenstehende Ausbildungsstätte in Nürnberg, die jüdische Volks- und Berufsschule in der Oberen Kanalstraße 25; sie möchte Kinderkrankenschwester werden. Sie muß in der Steinbühlstraße 9 in ein sogenanntes „Judenhaus” beziehen, wo bereits vor der Deportation in die Konzentrationslager jüdische Deutsche zwangsweise in engsten Verhältnissen wohnen mußten. 

Infolge der in diesem Jahr 1941 in Berlin beschlossenen „Endlösung“, die Vernichtung jüdischen Lebens, sind Irene und ihre Mutter Frieda unter den ersten 1000 mittelfränkischen Juden, die offiziell nach dem „Osten umgesiedelt“ werden sollen. Tatsächlich geht der vom Bahnhof Nürnberg-Märzfeld (zum Reichsparteitagsgelände gehörend) startende Zug ins von der deutschen Wehrmacht eroberte lettische Riga. Mit im Zug ist auch Friedas verwitwete Schwester Rosa, verheiratete Loewi aus Erlangen, mit ihren drei Kindern Irmgard, Ludwig und Marga. Die Ankunft im eiskalten Riga und die Einquartierung im nationalsozialistischen Ghetto, einer Art Konzentrationslager mitten in der historischen Stadt, bedeutet für alle Lärmer’schen Abkömmlinge den Beginn einer schrecklichen Odyssee durch nahe gelegene Konzentrationslager wie Jungfernhof und Kaiserwald. Ludwig wird die menschenverachtende Mischung aus drakonischer Zwangsarbeit und systematischer Unterernährung nicht überleben. Irene und ihre von Arthritis geplagte Mutter werden bald getrennt und sie werden sich nie wiedersehen.

In Riga lernt Irene einen inhaftierten Lübecker, Josef Katz, kennen, mit dem sie ihr letztes Brot durch ein Gefängnisfenster teilt. Als sie und die anderen KZ-Häftlinge als Folge der militärischen Erfolge der Roten Armee immer weiter nach Westen verlegt werden, tritt Irene von ihrem letztem KZ, Stutthof bei Danzig, den Todesmarsch nach Berlin an und wird von den Russen befreit. Im heute noch existierenden Jüdischen Krankenhaus (1756 gegründet), damals die einzige jüdische Institution in Berlin, die die gesamte NS-Zeit offengeblieben war, trifft sie Josef Katz wieder. Sie heiraten noch im völlig zerstörten Deutschland und wandern dank eines US-Kontingents für Überlebende der Shoah in die USA aus, wohin auch Rosa mit ihrer Tochter Marga gelangt. Irmgard wird hinter dem Eisernen Vorhang bleiben und einen jüdischen Letten heiraten; erst 1959 kann die Familie Klawansky über Erlangen in die USA emigrieren. Auch Marga heiratet einen Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung jüdischer Deutscher, Otto Hahn aus Prichsenstadt. 

Irene und Josef machen sich mit dem Handel von Pullovern nach einiger Zeit selbständig und ziehen Anfang der 1950er Jahre ins sonnige Kalifornien, wo Josef später ins Immobiliengeschäft einsteigt. In Los Angeles wird ihre Tochter Jeanne 1952 geboren. Als diese die University of California at Los Angeles (UCLA) ab 1970 besucht und dort auch Deutsch belegt, wird Josefs Manuskript, das er über seine KZ-Erfahrungen unmittelbar nach seiner Ankunft in den Staaten verfasst hat,wiederentdeckt und vom Deutschen ins Englische übersetzt. Josef Katz‘ One who came back gehört in den USA zu den bekanntesten Zeitzeugenberichten der Shoah.

Ihre Tochter Jeanne Katz Olson begleitet Irene, als sie verwitwet, auf vielen Vorträgen durch das Land, denn Jeanne organisiert für das US Holocaust National Museum in Washington D.C. die Vorträge und Auftritte der letzten life speakers. Irene verstirbt fast 93-jährig Ende Januar 2017 in Los Angeles als hochgeachtete Shoah-Überlebende, die zu vielen Festakten der Erinnerungskultur in den USA eingeladen wird. Auf dem Hillside Memorial Park wird Irene neben ihrem Mann Josef begraben; sie ruht dort fast 9.500 km fern von Dornheim.

 

Dr. Hildegard Wiegel